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\setchapterpreamble[c][.7\textwidth]{\itshape\color{gray}\small
In diesem Vortrag werden die grundlegenden logischen Schlussregeln und Beweistechniken erklärt und anhand von Beispielbeweisen vorgestellt. Dabei werden auch vorherrschende Normen für das Schreiben schöner und gut lesbarer Beweise besprochen.
\vspace{24pt}}
\chapter{Beweise} \label{chap:beweise}
\section{Logisches Schließen}
\begin{bem}[Buchtipp]
Dieses Vorkurs-Kapitel bietet nur einen Crashkurs im Beweisen. Eine freundliche und weit ausführlichere (aber auch sehr seitenstarke) Darstellung bietet das Buch \cite{Vel06}. Über den Link im Literaturverzeichnis kannst du es als Pdf herunterladen.
\end{bem}
\begin{defin} \index{Schlussregel} \label{schlussregel}
Eine \textbf{logische Schlussregel} ist ein Prinzip der Gestalt „Aus den Aussagen $X$ kann auf die Aussage $Y$ geschlossen werden“. Die Aussagen $X$ heißen dabei die \textbf{Prämissen} der Schlussregel und die Aussage $Y$ heißt ihre \textbf{Konklusion}. Die Anwendung einer Schlussregel heißt \textbf{logische Schlussfolgerung} oder auch \textbf{deduktiver Schluss}.
\end{defin}
\begin{bsp} \label{bsp:schlussregel}
Seien $A,B$ irgend zwei Aussagen. Die Schlussregel \emph{Modus tollens} (die später in \cref{reductio} eingeführt wird) geht folgendermaßen:
\[\begin{tabular}{r}
$A\to B$ \\
$\neg B$ \\
\midrule
$\neg A$
\end{tabular}\]
Sie besagt: „Aus $A\to B$ und $\neg B$ kann auf $\neg A$ geschlossen werden.“ Die Prämissen dieser Schlussregel sind $A\to B$ und $\neg B$ und die Konklusion ist $\neg A$.
Die folgenden Schlüsse stellen drei \emph{Instanzen} dieser Schlussregel dar:
\begingroup
\allowdisplaybreaks
\begin{align*}
& \begin{tabular}{l}
Wäre ich reich, würde ich jeden Tag ins Restaurant gehen. \\
Ich gehe nicht jeden Tag ins Restaurant. \\
\midrule
Also gilt: Ich bin nicht reich.
\end{tabular} \\[1em]
& \begin{tabular}{l}
Ist $n$ eine gerade Zahl, so ist auch $3n$ eine gerade Zahl. \\
$3n$ ist keine gerade Zahl. \\
\midrule
Also gilt: $n$ ist keine gerade Zahl.
\end{tabular} \qquad (n\in \N) \\[1em]
& \begin{tabular}{l}
Wenn der Fluxkompensator in Unwucht gerät, misslingt der Chronosprung. \\
Der Chronosprung ist gelungen. \\
\midrule
Also gilt: Der Fluxkompensator ist nicht in Unwucht geraten.
\end{tabular}
\end{align*}
\endgroup
Obwohl die drei Schlüsse inhaltlich grundverschieden sind, haben sie dieselbe logische Struktur gemein.
\end{bsp}
\begin{defin}[Axiom] \index{Axiom}
In der Regel liegen einer mathematischen Theorie einige Aussagen zugrunde, die nicht bewiesen, sondern schlicht als „gegeben“ vorausgesetzt werden. Sie heißen \textbf{Axiome} und kodieren oftmals Eigenschaften derjenigen Objekte, von denen die Theorie handelt.
\end{defin}
\begin{defin}[„Es gilt\dots“]
Sei $A$ eine Aussage. Wir schreiben „$A$ ist gültig“ oder „Es gilt $A$“ oder „$A$ ist wahr“, falls es möglich ist, die Aussage $A$ mit einer Abfolge logischer Schlussfolgerungen aus den im Kontext angenommenen Axiomen herzuleiten.
\end{defin}
\begin{bem}[* Beweisbarkeit vs. Wahrheit] \label{beweisbarvswahr}
Beachte, dass dies erst einmal nichts mit dem Wahrheitswert „w“ aus \cref{def:interpretation} zu tun hat. Wahrheit und Herleitbarkeit sind zwei verschiedene Dinge. Zumindest gibt es folgende Zusammenhänge:
\begin{itemize}
\item Die logischen Schlussregeln sind so beschaffen, dass sich aus wahren Prämissen auch nur wahre Konklusionen ableiten lassen. Man nennt dies die \emph{Korrektheit} (englisch: ``soundness'') der Schlussregeln. Wenn du aus wahren Prämissen etwas Falsches hergeleitet hast, muss dir zwangsläufig ein Fehlschluss unterlaufen sein.
\item Aus falschen Prämissen lassen sich dagegen sowohl wahre als auch falsche Aussagen herleiten. Dennoch ändert dies nichts an der Korrektheit. Unabhängig davon, ob $3n$ nun „in Wirklichkeit“ eine gerade Zahl ist oder nicht, ist der Schluss aus \cref{bsp:schlussregel} korrekt, weil er eben nur von einer solchen Situation handelt, in der die Prämissen als wahr vorausgesetzt sind.
\item Lässt sich jede wahre Aussage mittels logischer Schlüsse herleiten, so heißt der Logikkalkül \emph{vollständig}. Die Vollständigkeit ist eine weitaus kompliziertere Angelegenheit als die Korrektheit und in der mathematischen Logik gibt es diverse \href{https://ncatlab.org/nlab/show/completeness+theorem}{Vollständigkeitssätze} und \href{https://ncatlab.org/nlab/show/incompleteness+theorem}{Unvollständigkeitssätze} (deren berühmteste diejenigen von Gödel\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_G\%C3\%B6del}{Kurt Gödel (1906-1978)}} sind), die die Vollständigkeit und Unvollständigkeit gewisser Logikkalküle hinsichtlich gewisser Interpretationen beweisen.
\end{itemize}
\end{bem}
\begin{defin}[Satz und Beweis] \index{Beweis}
Ein \textbf{mathematischer Satz} ist die Feststellung in einem mathematischen Text, dass eine Aussage $A$ „gilt“, d.h. dass sie vermöge der in der Mathematik üblichen logischen Schlussregeln aus denjenigen Aussagen, die im Umfeld des Satzes axiomatisch angenommen werden oder bereits für gültig befunden wurden, hergeleitet werden kann.
Ein \textbf{mathematischer Beweis} für $A$ ist eine (mehr oder weniger ausführliche) Beschreibung einer solchen Herleitung, die dich von der Gültigkeit von $A$ überzeugt.
\end{defin}
\begin{bsp}[*]
In der synthetischen affinen und projektiven Geometrie ist die Aussage
\begin{quote}
(A) Durch je zwei verschiedene Punkte verläuft genau eine Gerade.
\end{quote}
ein Axiom, das nicht hergeleitet wird, sondern einen Teil unseres Verständnisses von „Punkten“ und „Geraden“ kodiert. Allein aus diesem Axiom kann nun schon die folgende Aussage hergeleitet werden:
\begin{satz}
Zwei verschiedene Geraden schneiden sich in höchstens einem gemeinsamen Punkt.
\end{satz}
\begin{proof}
Seien $g,h$ zwei verschiedene Geraden, die sich in zwei Punkten $P$ und $Q$ schneiden. Weil es dann mehr als eine Gerade gibt, die durch $P$ und $Q$ verläuft, können $P,Q$ nach (A) nicht verschieden sein, sodass $P=Q$.
\end{proof}
\end{bsp}
\begin{bem}[*]
Dieser Beweis behält seine Gültigkeit auch dann, wenn das Wort „Gerade“ überall durch das Wort „Bierkrug“ ersetzt wird: Wenn durch je zwei verschiedene Punkte stets genau ein Bierkrug verläuft, so schneiden sich zwei verschiedene Bierkrüge in höchstens einem gemeinsamen Punkt. Dies ist typisch für die Logik: für die Gültigkeit logischer Schlüsse kommt es gar nicht auf den Inhalt der Aussagen an, sondern nur auf ihre Struktur. Beispielsweise ist es auch für die Korrektheit des dritten Schlusses aus \cref{bsp:schlussregel} völlig egal, was eigentlich „Fluxkompensator“ und „Chronosprung“ überhaupt bedeuten.
\end{bem}
\begin{bem}[Ausführlichkeit eines Beweises]
Komplizierte Beweise involvieren dutzende logische Schlussfolgerungen und ein Mathe-Lehrbuch würde, schriebe man alle Beweise in größter Ausführlichkeit auf, den halben Regenwald verschlingen. Daher listen mathematische Beweise selten jede einzelne logische Schlussfolgerung auf, sondern beschreiben mehrere logische Schlüsse auf einmal und führen „Routine-Argumente“, von denen erwartet werden kann, dass sie der Leser mit Leichtigkeit selbst ergänzen kann, gar nicht erst aus. Aus der Schule bist du es ja auch gewohnt, in einer langen Rechnung nicht jeden einzelnen Rechenschritt separat aufzuschreiben, sondern mitunter mehrere Zwischenschritte auf einmal durchzuführen. Im extremsten Fall wird in einem Beweis gar nicht argumentiert, sondern es wird lediglich behauptet, die Aussage gelte „offensichtlicherweise“ oder „sei klar“. In vielen Fällen sind solche Aussagen tatsächlich „offensichtlich“; manchmal kommt es aber auch vor, dass der Prof. selbst nicht weiß, dass die Zwischenschritte, die er gerade überspringt, weil er sie für „trivial“ hält, einer komplizierten Begründung bedürfen. Dann kann es passieren, dass er/sie bei einer Zwischenfrage minutenlang auf dem Schlauch steht. Mit Floskeln wie „gilt offensichtlich“ oder „ist trivial“ solltest du vorsichtig umgehen und sie nicht aus Verlegenheit verwenden, wenn dir keine bessere Begründung einfällt. In vielen Fällen ist ihre Verwendung, selbst wenn sie legitim ist, schlechter Stil.
\begin{figure}[ht]
\includegraphics[width=10cm]{./_img/Istklar.jpeg}
\centering \caption{Beispiel aus einer LA1-Vorlesung für einen „Beweis“, in dem gar nichts argumentiert wurde. Vgl. die Begründung von \cref{def:surjektiv}.}
\end{figure}
\end{bem}
\begin{bem}[Subjektivität des Beweisbegriffs]
Das Wort „überzeugt“ in meiner Beweisdefinition deutet eine subjektive Komponente an. Wenn dich ein Vorlesungs-„Beweis“ nicht überzeugen kann, dann ist er für dich eben auch kein Beweis. Ein Beweistext kann für den Einen eine befriedigende Begründung sein, während er für den Anderen völlig unverständlich und praktisch wertlos ist. Wenn dir unmittelbar einsichtig ist, dass eine Aussage gilt, kann sogar ein „Ist-klar“-Beweis überzeugend sein.
Nichtsdestotrotz gibt es gewisse Regeln und Techniken, über deren Zulässigkeit ein Konsens besteht. Beweise, die diesen Regeln unterliegen, muss ein Mathematiker anerkennen. Dass Beweise nicht überzeugend sind, kommt nur selten von Verstößen gegen die Logik her; sondern eher von der Verwendung obskurer Begriffe, dem Mangel an Erläuterung komplizierter Beweisschritte, Flüchtigkeitsfehlern, dem Verschleiern von Beweislücken oder der unbegründeten Verwendung von Aussagen, die, wenn überhaupt, irgendwo fünfzig Seiten vorher einmal in einem unscheinbaren Lemma hergeleitet wurden.
\end{bem}
Bereits in diesem Kapitel werde ich Beweise führen, nämlich um zu demonstrieren, wie sich gewisse logische Schlussregeln und Beweistechniken aus anderen ableiten lassen. Setz dich aber nicht unter Druck, die Herleitungen der Beweistechniken lückenlos nachvollziehen zu müssen, sondern begreife sie als Erklärungen, die plausibel machen sollen, warum die Beweistechniken zulässig sind. Letztendlich musst du dich selbst davon überzeugen, wie genau ist gar nicht so wichtig. In den Mathevorlesungen (mal abgesehen von Vorlesungen über Logik, wo es genau darum geht) werden die üblichen Beweistechniken größtenteils ohne weitere Begründung verwendet und ab der zweiten Semesterwoche erwartet auch niemand mehr, dass du die Logik, die deinen Beweisen zugrundeliegt, rechtfertigst (solange sie halt nicht „unlogisch“ ist).
\begin{bem}[Tipps zur Beweisfindung]
In \cref{anhang:entstehungsprozess} findest du ein Beispiel und allgemeine Hinweise, wie sich eine konkrete Übungszettelaufgabe in Angriff nehmen lässt.
\end{bem}
\section{Implikationen}
In diesem Abschnitt seien $A,B$ stets zwei beliebige Aussagen.
\begin{axiom}[Der direkte Beweis] \label{direkterbeweis} \index{direkter Beweis}
Um die Implikation $A\to B$ zu beweisen, kannst du die Technik des \textbf{direkten Beweises} benutzen:
Nimm an, dass die Aussage $A$ gilt, und zeige nun mithilfe dieser Annahme (und aller weiteren Aussagen, die dir zur Verfügung stehen), dass auch $B$ gilt.
\end{axiom}
\begin{bsp}
Sofern Bayer 04 Leverkusen nach dem 29. Spieltag sechzehn Punkte vor dem Tabellenzweiten steht, werden sie Deutscher Meister.
\end{bsp}
\begin{proof}
Angenommen, Leverkusen liegt nach dem 29. Spieltag sechzehn Punkte vor dem Tabellenzweiten. Weil nur noch fünf Spieltage verbleiben, kann der Zweite (und jeder weiter unten stehende Verein) nur noch $5\cdot 3=15$ Punkte aufholen. Also ist der Bayer uneinholbar und wird (nach all den Jahren endlich) Deutscher Meister.
\end{proof}
\begin{bem}[Signalwörter]
Wenn du die Implikation $A\to B$ direkt beweist, kannst du dies deutlich machen, indem du den Beweis mit „Es gelte $A$“, „Es sei angenommen, dass $A$ gilt“ oder Ähnlichem beginnst.
\end{bem}
\begin{satz}[* Jede Aussage impliziert sich selbst] \label{implikationref}
Es gilt
\[ A\to A \]
\end{satz}
\begin{proof}
Für einen direkten Beweis sei angenommen, dass $A$ gilt. Weil unter dieser Annahme ja $A$ gilt, ist schon alles bewiesen.
\end{proof}
\begin{satz}[* Wahres folgt aus Beliebigem]\label{wahresausbeliebigem}
Es gilt
\[ A \to (B\to A) \]
Mit anderen Worten: Sofern $A$ gilt, wird $A$ auch von allen anderen Aussagen impliziert.
\end{satz}
\begin{proof}
Für einen direkten Beweis sei angenommen, dass $A$ gilt. Nun ist zu zeigen, dass auch $B\to A$ gilt. Dazu sei zusätzlich angenommen, dass $B$ gilt. Nun gilt auch $A$, weil dies ja schon ganz zu Beginn des Beweises angenommen wurde.
\end{proof}
\begin{bem}[„$\to$“ bedeutet keine Kausalität!] \label{keinekausalitaet}
Die Aussage, dass Wahres aus Beliebigem folgt, mag seltsam erscheinen (und wird unter die \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Paradoxien_der_materialen_Implikation}{„Paradoxien der materialen Implikation“} gezählt), da dann ja auch Wahres aus solchen Aussagen folgt, die gar nichts damit zu tun haben. Beispielsweise ist „Sofern der Döner in Deutschland erfunden wurde, ist $4$ eine Quadratzahl“ eine wahre Aussage. Dass dies „paradox“ anmutet, kommt von einer inadäquaten Interpretation des Implikationspfeils „$\to$“.
In ihrer üblichsten Interpretation besagt die Aussage $A\to B$ nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen $A$ und $B$ geben muss; sondern nur, dass $B$ unter Annahme von $A$ gilt, egal ob diese Annahme in die Herleitung von $B$ mit einfließt oder nicht.
Logiken, die sich darum bemühen, dass „$\to$“ wirklich die Bedeutung einer kausalen Implikation trägt, heißen „Relevanzlogiken“, da dort für eine Implikation $A\to B$ gefordert wird, dass $A$ in irgendeiner Hinsicht „relevant“ für $B$ ist. In Relevanzlogiken ist die Technik des direkten Beweises nicht mehr uneingeschränkt zulässig.
\end{bem}
\begin{axiom}[Modus ponens] \label{modusponens} \index{Modus Ponens}
Die logische Schlussregel
\[\begin{tabular}{r}
$A\to B$ \\
$A$ \\
\hline
$B$
\end{tabular}\]
heißt „Modus ponens“. Sie besagt: Wann immer dir gegeben ist, dass sowohl $A\to B$ als auch $A$ gültig sind, kannst du daraus $B$ schlussfolgern.
\end{axiom}
\begin{bsp}
Ich habe angekündigt, dass ich, sofern ich zum Bürgermeister gewählt werde, Freibier für alle stiften werde. Nun wurde ich tatsächlich zum Bürgermeister gewählt, sodass jedem Freibier ausgeschenkt wird.
\end{bsp}
\begin{bem}[Logik-Latein]
Du brauchst dir nicht merken, dass diese Schlussregel „Modus ponens“ heißt. Ebensowenig brauchst du dir die anderen lateinischen Bezeichnungen in diesem Kapitel merken. Sie sollen dir jedoch das Nachschlagen in Internet und Literatur erleichtern.
\end{bem}
\begin{bem}
Anfänger machen gelegentlich den Fehler, aus $A\to B$ und $B$ auf die Aussage $A$ zu schließen. Hier ist ein Beispiel für diesen Fehlschluss:
\begin{quote}
Wenn sie heimlich mit nem anderen Typen schläft, kommt sie später als sonst nach Hause. Heute ist sie schon wieder später nach Hause gekommen, also ist klar, dass sie es mit jemand Anderem treibt.
\end{quote}
Mach dir klar, warum diese Schlussfolgerung nicht logisch valide ist.
\end{bem}
\begin{satz}[Direkter Beweis mit Zwischenschritten] \label{implikationtrans}
Seien $n\in \N$ und $Z_1,\dots , Z_n$ eine Handvoll Aussagen. Um die Implikation $A\to B$ zu beweisen, kannst du die Implikationen
\[ A\to Z_1,\quad Z_1\to Z_2,\quad \dots ,\quad Z_{n-1}\to Z_n\quad \text{und}\quad Z_n\to B \]
beweisen. In diesem Fall fungieren die Aussagen $Z_1,\dots , Z_n$ als \textbf{Zwischenschritte}.
\end{satz}
\begin{proof}
Es sei angenommen, dass ich alle Implikationen $A\to Z_1$, $Z_1\to Z_2$, \dots , $Z_n\to B$ bewiesen habe. Um zu zeigen, dass dann auch $A\to B$ gilt, sei angenommen, dass $A$ gilt. Wegen $A\to Z_1$ folgt, dass dann auch $Z_1$ gilt. Wegen $Z_1\to Z_2$ folgt, dass auch $Z_2$ gilt. Auf diese Weise kann ich schrittweise die $Z$'s durchgehen, bis am Ende auch $Z_n$ bewiesen ist. Und wegen $Z_n\to B$ gilt dann auch $B$.
\end{proof}
\begin{bsp}
Falls es nächsten Sommer (schon wieder) zu wenig regnet, wird der Fichtenwald in meiner Heimatstadt gerodet werden.
\end{bsp}
\begin{proof}
Wenn es nächstes Jahr wieder zu wenig regnet, fehlt es den Fichten an Flüssigkeit, um ausreichend Harz für eine widerstandsfähige Rinde auszubilden. Dies erleichtert es Borkenkäfern, innerhalb der Rinde zu nisten, sodass sich die Borkenkäferpopulation im Wald stark vergrößert und Bäume teilweise absterben werden. Unter diesem Umstand wird die örtliche Forstbehörde beschließen, den Wald zum Schutz vor umstürzenden Bäumen und einer weiteren Ausbreitung der Borkenkäfer zu roden.
\end{proof}
\section{Äquivalenzen}
In diesem Abschnitt seien $A,B$ stets zwei beliebige Aussagen.
\begin{axiom}[Hin- und Rückrichtung] \label{hinruck} \index{Hinrichtung} \index{Rueckrichtung@Rückrichtung} \index{Aequivalenzbeweis@Äquivalenzbeweis}
Aus dem Vorliegen der beiden Implikationen $A\to B$ und $B\to A$ kann auf die Äquivalenz $A\leftrightarrow B$ geschlossen werden.
\[\begin{tabular}{r}
$A\to B$ \\
$B\to A$ \\
\hline
$A\leftrightarrow B$
\end{tabular}\]
Wenn du die Äquivalenz $A\leftrightarrow B$ beweisen willst, kannst du deinen Beweis also in zwei Teile aufteilen: In der \textbf{Hinrichtung} beweist du die Implikation $A\to B$. In der \textbf{Rückrichtung} beweist du die Implikation $B\to A$.
\end{axiom}
\begin{bsp} \label{bsp:hinruck}
Eine ganze Zahl $n\in \Z$ ist genau dann ein Vielfaches von $6$, wenn sie zugleich ein Vielfaches von $2$ und ein Vielfaches von $3$ ist.
\end{bsp}
\begin{proof}
\begin{labeling}
\item[„$\Rightarrow$“:] Sei $n$ ein Vielfaches von $6$. Dies besagt, dass es ein $k\in \Z$ gibt mit $n=6\cdot k$. Es folgt $n=2\cdot (3k)$ und $n=3\cdot (2k)$. Also ist $n$ sowohl ein Vielfaches von $2$ als auch von $3$.
\item[„$\Leftarrow$“:] Es sei $n$ sowohl ein Vielfaches von $2$ als auch von $3$. Demzufolge gibt es $k,l\in \Z$ mit $n=2k$ und $n=3l$. Es folgt
\begin{align*}
n & = 3n - 2n \\
& = 3\cdot 2k - 2\cdot 3l & (\text{wegen $n=2k$ und $n=3l$})\\
& = 6k - 6l \\
& = 6\cdot (k-l)
\end{align*}
Also ist $n$ auch ein Vielfaches von $6$. \qedhere
\end{labeling}
\end{proof}
\begin{bem}
Die Methoden, die in diesen Beweis eingingen, gehören zur \emph{Teilbarkeitstheorie}. Mehr darüber wirst du im zweiten Semester in der Vorlesung „Lineare Algebra 2“ lernen.
\end{bem}
\begin{bem}[Guter Stil]
Wenn du eine Äquivalenz per Hin- und Rückrichtung beweist, solltest du die jeweiligen Beweisabschnitte mit „$\Rightarrow$“ und „$\Leftarrow$“ (so wie im Beispiel gerade eben) oder mit Floskeln wie „Ich beweise zuerst die Hinrichtung“ und „Für den Beweis der Rückrichtung sei nun\dots“ beginnen, damit deinem Leser jederzeit klar ist, um welche der beiden Richtungen es gerade geht.
\end{bem}
\begin{axiom}
Aus der Äquivalenz $A\leftrightarrow B$ kann sowohl auf $A\to B$ als auch auf $B\to A$ geschlossen werden.
\[\begin{tabular}{r}
$A\leftrightarrow B$ \\
\hline
$A\to B$
\end{tabular} \qquad\text{und}\qquad \begin{tabular}{r}
$A\leftrightarrow B$ \\
\hline
$B\to A$
\end{tabular}\]
\end{axiom}
\begin{bsp}
Es wurde angekündigt, dass man die Prüfung genau dann besteht, wenn man mehr als 50 Punkte erreicht hat. Dann weiß ich einerseits, dass ich, wenn ich die Prüfung bestanden habe, mehr als 50 Punkte erreicht haben muss; andererseits weiß ich, dass ich, sofern ich mehr als 50 Punkte erreicht habe, auf jeden Fall bestanden habe.
\end{bsp}
\begin{satz}[* Äquivalenzbeweis mit Zwischenschritten] \label{ifftrans}
Seien $n\in\N$ und $Z_1,\dots , Z_n$ Aussagen. Dann kannst du die Äquivalenz $A\leftrightarrow B$ beweisen, indem du die Äquivalenzen
\[ A\leftrightarrow Z_1,\quad Z_1\leftrightarrow Z_2,\quad \dots\quad Z_{n-1}\leftrightarrow Z_n \quad\text{und}\quad Z_n\leftrightarrow B \]
beweist. In diesem Fall fungieren die Aussagen $Z_1,\dots , Z_n$ als \textbf{Zwischenschritte}.
\end{satz}
\begin{proof}
\begin{labeling}
\item[„$\Rightarrow$“:] Die Äquivalenzen $A\leftrightarrow Z_1$, $Z_1\leftrightarrow Z_2$, \dots, $Z_n\leftrightarrow B$ beinhalten die Implikationen $A\to Z_1$, $Z_1\to Z_2$, \dots, $Z_n\to B$, woraus sich mittels \cref{implikationtrans} ergibt, dass $A\to B$ gilt.
\item[„$\Leftarrow$“:] Ebenso beinhalten die Äquivalenzen $A\leftrightarrow Z_1$, $Z_1\leftrightarrow Z_2$, \dots, $Z_n\leftrightarrow B$ auch die Implikationen $B\to Z_n$, $Z_n\to Z_{n-1}$, \dots, $Z_1\to A$, woraus sich mittels \cref{implikationtrans} auch $B\to A$ ergibt. \qedhere
\end{labeling}
\end{proof}
\begin{nota}[*] \label{todotsto}
Für $n\in \N$ und Aussagen $Z_1,\dots , Z_n$ schreibt man kurz:
\begin{align*}
Z_1\to \ldots \to Z_n \qquad &:\Leftrightarrow\qquad Z_1\to Z_2\ \land \ldots \land\ Z_{n-1}\to Z_n \\
Z_1\leftrightarrow \ldots \leftrightarrow Z_n \qquad &:\Leftrightarrow\qquad Z_1\leftrightarrow Z_2\ \land \ldots \land\ Z_{n-1}\leftrightarrow Z_n
\end{align*}
\end{nota}
\begin{bsp}[*]
Sei $x\in \R_{>0}$. Genau dann ist $x$ eine Lösung der Gleichung $x^2-x=1$, wenn $x= \frac{1+\sqrt{5}}{2}$.\footnote{Die Zahl $\frac{1+\sqrt{5}}{2}$ heißt \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Goldener_Schnitt}{Goldener Schnitt}.}
\end{bsp}
\begin{proof}
Es gilt:
\begin{alignat*}{5}
x^2-x& =1 \quad&\leftrightarrow\quad&& \left(x-\frac{1}{2}\right)^2 - \frac{1}{4} &= 1 &&& \qquad(\text{quadratische Ergänzung}) \\
&& \leftrightarrow\quad&& \left(x-\frac{1}{2}\right)^2&=\frac{5}{4} \\
&& \leftrightarrow\quad&& x-\frac{1}{2} &= \pm \sqrt{\frac{5}{4}} \\
&& \leftrightarrow\quad&& x &= \frac{1\pm \sqrt{5}}{2}
\end{alignat*}
Weil $x$ positiv ist und $\frac{1-\sqrt{5}}{2}<0$ wäre, ist dies wiederum äquivalent zu $x=\frac{1+\sqrt{5}}{2}$.
\end{proof}
\begin{satz}[* Jede Aussage ist äquivalent zu sich selbst]\label{iffref}
Es gilt
\[ A\leftrightarrow A \]
\end{satz}
\begin{proof}
Mit \cref{implikationref} ist zugleich die Hinrichtung und die Rückrichtung bewiesen.
\end{proof}
\begin{satz}[* Kommutativgesetz für $\leftrightarrow$]\label{iffkomm}
Es gilt
\[ (A\leftrightarrow B)\leftrightarrow(B\leftrightarrow A) \]
\end{satz}
\begin{proof}
\begin{labeling}
\item[„$\Rightarrow$“:] Es gelte $A\leftrightarrow B$. Daraus folgt, dass sowohl $A\to B$ als auch $B\to A$ gelten. Aber dies sind genau Rück- und Hinrichtung für $B\leftrightarrow A$.
\item[„$\Leftarrow$“:] Die Rückrichtung beweist man analog zur Hinrichtung, unter Vertauschung der Rollen von $A$ und $B$. \qedhere
\end{labeling}
\end{proof}
\begin{bem}[Substitutionsprinzip] \index{Substitutionsprinzip}
Seien $A,B$ zwei äquivalente Aussagen. Dann kannst du in Beweisen die Aussagen $A$ und $B$ beliebig miteinander vertauschen. Möchtest du beispielsweise $A$ beweisen, kannst du genausogut $B$ beweisen. Oder ist dir eine Aussage der Gestalt $(A\land C)\to D$ gegeben, so kannst du genausogut auch mit der Aussage $(B\land C)\to D$ arbeiten.
Aus diesem Grund sind Äquivalenzaussagen wertvoll und nützlich. Sie erlauben es, Aussagen von mehreren Blickwinkeln zu beleuchten und dadurch ein „tieferes“ Verständnis für sie zu gewinnen.
\end{bem}
\begin{satz}[* Curry-Paradoxon] \label{curryparadox}
Es gilt
\[ (A\leftrightarrow (A\to B))\to B \]
Mit anderen Worten: Ist $A$ bereits äquivalent dazu, dass $B$ von $A$ impliziert wird, so gilt $B$.
\end{satz}
\begin{proof}
Für einen direkten Beweis sei angenommen, dass $A\leftrightarrow (A\to B)$ gilt. Nun ist zu beweisen, dass $B$ gilt.
\begin{enumerate}[(1)]
\item Es gilt $A\to B$, denn: Für einen direkten Beweis sei angenommen, dass $A$ gilt. Wegen $A\leftrightarrow (A\to B)$ gilt dann auch $A\to B$. Und weil $A$ als gültig angenommen wurde, folgt daraus $B$.
\item Es gilt $B$, denn: Nach Schritt (1) gilt $A\to B$. Wegen $A\leftrightarrow (A\to B)$ gilt dann auch $A$. Weil nach Schritt (1) auch $A\to B$ gilt, folgt nun, dass auch $B$ gilt. \qedhere
\end{enumerate}
\end{proof}
\begin{bem}[* Selbstreferenzielle Aussagen]
Das Curry-Paradoxon wird deshalb als „Paradoxon“ gehandelt, da es zumindest in der Alltagssprache ziemlich leicht ist, Aussagen $A$ zu konstruieren, für die $A\leftrightarrow (A\to B)$ gilt. Zum Beispiel seien
\begin{labeling}[labelindent=1.5em]
\item[$A:=$] „Wenn diese Aussage wahr ist, gewinne ich morgen im Lotto.“
\item[$B:=$] „Morgen gewinne ich im Lotto.“
\end{labeling}
Dann gilt tatsächlich $A\leftrightarrow (A\to B)$, sodass aus \cref{curryparadox} folgt, dass ich morgen Millionär bin. Lotterien hassen diesen Trick.
Damit sich mit dem Curry-Paradoxon nicht einfach \emph{jede} mathematische Aussage beweisen lässt, muss in der mathematischen Logik sichergestellt werden, dass sich die Selbstreferenzialität „Wenn \emph{diese Aussage} wahr ist, dann \dots“, die alltagssprachlich problemlos erzeugbar ist, nicht in formaler mathematischer Sprache nachbilden lässt.
\end{bem}
\subsection*{* Zwei Fehler im Umgang mit Äquivalenzumformungen}
\begin{bem}[„Gleichungs-U's“]
Aus der Schule sind es manche Studienanfänger gewohnt, Gleichungen dadurch zu beweisen, dass sie sie sovielen Äquivalenzumformungen unterziehen, bis am Ende eine „offensichtliche“ Gleichung rauskommt. Hier ein Beispiel für diese Vorgehensweise:
\begin{bsp}
Seien $x,y$ zwei reelle Zahlen. Dann gilt:
\[ x\cdot (y+1)-x = (x+1)\cdot y-y\]
\end{bsp}
\begin{proof}[Mieser Beweis]\let\qed\relax
Es gilt:
\begin{alignat*}{3}
&& x\cdot (y+1)-x& \quad=\quad (x+1)\cdot y-y \\
&\leftrightarrow\qquad& xy + x -x& \quad=\quad xy + y - y \\
&\leftrightarrow\qquad& xy & \quad=\quad xy
\end{alignat*}
\end{proof}
Diesen „Beweisstil“ solltest du dir nicht aneignen bzw. so bald es geht abgewöhnen. Denn bei so einer Äquivalenzenkette geschieht bei jeder Äquivalenzumformung auf jeder der beiden Seiten eine arithmetische Umformung, die der Leser nachvollziehen muss. Und diese arithmetischen Umformungen bilden den eigentlichen Kern des Beweises, letztendlich hat der Leser die Gleichungskette also in einer „U-Form“, deren beide Stränge erst ganz am Schluss zusammenfinden, zu lesen:
\[\begin{tikzcd}
&& x\cdot (y+1)-x\ar[red, d, dash] & =& (x+1)\cdot y-y \ar[red, d, dash] \\
\leftrightarrow&& xy + x-x \ar[red, d, dash] & =& xy + y - y \ar[red, d, dash] \\
\leftrightarrow&& xy \ar[red, rr, dash, bend right] & =& xy
\end{tikzcd}\]
Schöner ist es, diese Kette arithmetischer Umformungen gar nicht erst als „U“, sondern als die Kette, als die sie letztendlich auch zu lesen ist, hinzuschreiben:
\begin{proof}[Schönerer Beweis]
Es gilt:
\begin{align*}
x\cdot (y+1) -x& = xy + x -x\\
& = xy \\
& = xy + y - y \\
& = (x+1)\cdot y -y &&&& \qedhere
\end{align*}
\end{proof}
Unterscheide dabei sorgfältig von der Art und Weise, wie du den Beweis \emph{findest} und der Art und Weise, wie du ihn am Ende \emph{aufschreibst}: Während des Beweisfindungsprozesses auf dem Schmierblatt ist alles erlaubt. Aber am Ende, wenn es darum geht, den Beweis ansprechend aufzuschreiben, solltest du alle Unsauberkeiten tilgen und den Beweis in eine gut lesbare Form bringen. Ein mathematischer Beweis, wie du ihn in einem Lehrbuch findest oder wie ihn ein Dozent in der Vorlesung vorführt, gibt nur selten seinen Entstehungsprozess preis. (Was in didaktischer Hinsicht manchmal bedauerlich und einer der Hauptgründe dafür ist, dass sich Erstsemester mit dem Verfassen von Beweisen schwertun.)
\end{bem}
\begin{bem}[Beweise „rückwärts“ führen] \label{hintennachvorne}
Mal angenommen, ich möchte beweisen, dass die Kubikwurzel von $3$ größer ist als die Quadratwurzel von $2$. Auf der Suche nach einem Beweis beginne ich einfach mal mit der zu zeigenden Ungleichung $\sqrt[3]{3}>\sqrt{2}$ und forme ein bisschen um:
\begin{alignat*}{3}
&\qquad\qquad& \sqrt[3]{3}& >\sqrt{2} \\
& \to& \sqrt[3]{3}^{3\cdot 2} & > \sqrt{2}^{2\cdot 3} && (\text{beide Seiten mit $6$ potenzieren}) \\
& \to & (\sqrt[3]{3}^3)^2 & > (\sqrt{2}^2)^3 &\qquad\qquad& (\text{Potenzgesetz anwenden})\\
& \to & 3^2 & > 2^3 \\
& \to & 9 & > 8
\end{alignat*}
Das sieht schonmal gut aus! Durch ein paar Umformungen bin ich zu einer wahren Aussage gelangt. Mancher Anfänger würde nun denken, dass das Problem damit erledigt ist und die obige Ungleichungskette als Beweis taugt.
Das ist aber falsch. Denn die Ungleichungskette beginnt ja mit der zu beweisenden Aussage. Hier wurde also nur die Aussage „Wenn $\sqrt[3]{3} >\sqrt{2}$ gilt, dann ist $9>8$“ bewiesen, die aber leider nichts darüber aussagt, ob nun tatsächlich $\sqrt[3]{3} >\sqrt{2}$ gilt. Glücklicherweise handelt es sich aber bei allen Umformungen um Äquivalenzumformungen, sodass die Ungleichungskette auch in umgekehrter Richtung gültig ist:
\begin{alignat*}{3}
&\qquad\qquad& 9 & > 8 \\
& \to & 3^2 & > 2^3 \\
& \to & (\sqrt[3]{3}^3)^2 & > (\sqrt{2}^2)^3 \\
& \to& \sqrt[3]{3}^{3\cdot 2} & > \sqrt{2}^{2\cdot 3} &\qquad\qquad& (\text{Potenzgesetz anwenden}) \\
&\to & \sqrt[3]{3}& >\sqrt{2} && (\text{sechste Wurzel ziehen})
\end{alignat*}
Nun ist die Argumentation zumindest mal nicht mehr logisch falsch. Wenn ich jetzt noch das „Ungleichungs"~U“ loswerde, kann sich der Beweis sehen lassen. Hier ist der finale Beweis:
\begin{proof}
Es gilt
\begingroup
\allowdisplaybreaks
\begin{align*}
\sqrt[3]{3} & = \sqrt[3]{\sqrt{9}} \\
& = \sqrt[6]{9} \\
& > \sqrt[6]{8} & (\text{da $\sqrt[6]{-}$ eine ordnungserhaltende Operation und $9>8$ ist}) \\
& = \sqrt{\sqrt[3]{8}} \\
& = \sqrt{2} && \qedhere
\end{align*}
\endgroup
\end{proof}
Beachte, dass die Struktur dieses Beweises nicht meinen Denkprozess bei der Beweissuche wiederspiegelt. Das ist aber völlig normal und ok. Sollte dein Beweis sehr kompliziert sein, wäre es natürlich trotzdem nett, wenn du, wo es deinem Leser hilft, ein paar Meta-Bemerkungen darüber, welche Idee hinter dem aktuellen Beweisschritt steckt, einstreust.
Auch Profis stoßen manchmal auf einen Beweis, indem sie die Argumentation „rückwärts“ ausprobieren, also mit der zu beweisenden Aussage starten und schauen, was sich damit anfangen lässt. Während diese Strategie völlig legitim zur Beweis\emph{findung} ist, ist sie es aber nicht zur Beweis\emph{niederschrift}. Dein zum Schluss aufgeschriebener Beweis muss das Problem sauber von den gegebenen Aussagen auf die zu beweisenden Aussagen durchgehen.
Der Versuch, einen Beweis rückwärts zu führen, kann auch Fehler erzeugen, die du, sofern du den Rückwärts-Gedankengang am Ende nicht kritisch reflektierst, übersiehst. Zum Beispiel könnte man meinen, dass für jede reelle Zahl $x$ gilt: $\cos(x)=\sqrt{1-\sin^2(x)}$. Denn man kann ja umformen
\begin{align*}
&& \cos(x) & =\sqrt{1-\sin^2(x)} &&&& \\
\to && \cos^2(x) & = 1-\sin^2(x) &&&& \\
\to && \cos^2(x) + \sin^2(x) & = 1 &&&&
\end{align*}
und letzteres ist eine wohlbekannte wahre Aussage (die manchmal als „Satz des Pythagoras“\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Pythagoras}{Pythagoras (6. Jhd. v. Chr.)}} bezeichnet wird). Jedoch ist
\[ \cos(\pi) = -1 \neq \sqrt{\strut 1-0^2} = \sqrt{1-\sin^2(\pi)} \]
sodass irgendetwas nicht stimmen kann. Kannst du ausmachen, wie und wo sich der Fehler eingeschlichen hat?
\end{bem}
\begin{bem}[Weitere Anfängerfehler]
Eine lange Liste von sowohl studentischen als auch dozentischen Fehlern, die ihm während seiner Lehrtätigkeit aufgefallen sind, hat Eric Schechter auf \href{https://math.vanderbilt.edu/schectex/commerrs/}{seiner Homepage} zusammengetragen.
\end{bem}
\subsection*{* Mehrfach-Äquivalenzen}
\begin{defin}[„Die folgenden Aussagen sind äquivalent“] \label{def:tfae}
Einige mathematische Sätze haben die Gestalt einer größeren Äquivalenzaussage und sehen folgendermaßen aus:
\begin{quote}
Es seien \dots und es gelte \dots. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
\begin{itemize}
\item[(i)] \dots
\item[(ii)] \dots
\item[(iii)] \dots
\item[(iv)] \dots
\item[\dots]
\end{itemize}
\end{quote}
Diese Satzstruktur kommt so häufig vor, dass sie im Englischen mit ``tfae'' abgekürzt wird (für ``the following are equivalent''). Sie besagt, dass je zwei der Aussagen (i), (ii), (iii), usw. zueinander äquivalent sind, also dass alle Äquivalenzen
\[ \text{(i)$\leftrightarrow$(ii),\quad (i)$\leftrightarrow$(iii), \quad (ii)$\leftrightarrow$(iii),\quad (i)$\leftrightarrow$(iv),\quad (ii)$\leftrightarrow$(iv), \quad (iii)$\leftrightarrow$(iv),\quad \dots} \]
gelten. Man sagt auch, die Aussagen seien „paarweise äquivalent“.
\end{defin}
\begin{bsp}
Sei $D$ ein Dreieck in der euklidischen Ebene. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
\begin{enumerate}[(i)]
\item $D$ ist ein gleichseitiges Dreieck, d.h. alle Seiten von $D$ haben dieselbe Länge.
\item Alle Innenwinkel von $D$ sind gleich groß.
\item Der Schwerpunkt von $D$ stimmt mit seinem Umkreismittelpunkt überein.
\item Der Schwerpunkt von $D$ stimmt mit seinem Inkreismittelpunkt überein.
\end{enumerate}
Würde man hier die Äquivalenz jedes Aussagenpaars per Hin- und Rückrichtung beweisen, müsste man insgesamt zwölf Implikationen beweisen. Mit der folgenden Beweistechnik lässt sich in solchen Fällen erheblich Arbeit einsparen:
\end{bsp}
\begin{satz}[Ringschluss] \label{ringschluss} \index{Ringschluss}
Seien $n\in \N$ und $A_1,\dots , A_n$ eine Handvoll Aussagen, von denen du beweisen möchtest, dass sie paarweise äquivalent sind. Dann kannst du dies mit der Technik des \textbf{Ringschlusses} erledigen, indem du lediglich die Implikationen
\[ A_1\to A_2,\quad \dots ,\quad A_{n-1}\to A_n,\quad A_n\to A_1 \]
beweist. Auf diese Weise „schließt du einen Ring“ zwischen den Aussagen $A_1,\dots , A_n$.
\end{satz}
\begin{proof}
Durch den Ringschluss wurden alle Implikationen im folgenden Diagramm bewiesen:
\[\begin{tikzcd}
&&& A_1 \ar[rrd] &&& \\
&A_n\ar[rru]&&&& A_2 \ar[ld]& \\
&& \dots \ar[lu] && A_3 \ar[ll]&&
\end{tikzcd} \]
Man sieht, dass sich nun von jeder Aussage mittels Zwischenschritten zu jeder anderen Aussage gelangen lässt, indem man nur lang genug „im Uhrzeigersinn läuft“. Sind nun $A_i,A_j$ zwei Aussagen aus $A_1,\dots , A_n$, so gilt wegen \cref{implikationtrans} sowohl $A_i\to A_j$ als auch $A_j\to A_i$, also insgesamt $A_i\leftrightarrow A_j$.
\end{proof}
\begin{bsp} \label{bsp:ringschluss}
Für $n\in \Z$ sind äquivalent:
\begin{enumerate}[(i)]
\item Es ist $n\ge 1$.
\item Für alle $m\in \Z$ ist $m+n>m$.
\item Es gibt ein $m\in \Z$ mit $m+n>m$.
\end{enumerate}
\end{bsp}
\begin{proof}
(i)$\to$(ii): Es gelte (i). Für alle $m\in \Z$ ist dann
\begin{align*}
m+n & \ge m+1 > m
\end{align*}
(ii)$\to$(iii) ist trivial (da ganze Zahlen existieren).
(iii)$\to$(i): Sei $m\in \Z$ mit $m+n>m$. Subtraktion von $m$ liefert die Ungleichung $n>0$. Weil $n$ ganzzahlig ist, muss dann schon $n\ge 1$ gelten.
\end{proof}
\begin{bem}
Ein gelegentlicher Anfängerirrtum besteht darin, zu denken, der Ringschluss müsse \emph{immer} in der Form (i)$\to$(ii), (ii)$\to$(iii), (iii)$\to$(i) durchgeführt werden. Das ist Unsinn und führt dazu, dass sich manche Anfänger einen Haufen unnötige Mehrarbeit aufhalsen.
Genausogut kannst du etwa auch einen Ringschluss über die Implikationen (ii)$\to$(i), (iii)$\to$(ii) und (i)$\to$(iii) durchführen.
Manchmal ist die Ringschluss-Methode auch unangebracht, wenn etwa die beiden Aussagen (ii) und (iii) so widerspenstig gegeneinander sind, dass keine Beweise für (ii)$\to$(iii) und (iii)$\to$(ii) in Sicht sind. In diesem Fall ist es vielleicht einfacher, den scheinbar längeren Weg zu gehen und (i)$\to$(ii), (ii)$\to$(i), (i)$\to$(iii) und (iii)$\to$(i) zu beweisen.
\[\begin{tikzcd}[column sep=small]
& (ii) \ar[rd] & \\
(iii)\ar[ru] && (i)\ar[ll]
\end{tikzcd}\qquad\text{anstelle von}\qquad\begin{tikzcd}[column sep=small]
& (i) \ar[rd] & \\
(iii)\ar[ru] && (ii)\ar[ll]
\end{tikzcd}\qquad\text{geht auch.}\]
\[\text{Manchmal funktioniert aber nur}\qquad \begin{tikzcd}
& (i) \ar[ld, bend right=20] \ar[rd, bend right=20] & \\
(iii)\ar[ru, bend right=20] && (ii) \ar[lu, bend right=20]
\end{tikzcd}\]
Entscheidend ist, dass du am Ende genügend viele Implikationen bewiesen hast, dass man mittels Zwischenschritten von jeder Aussage zu jeder anderen Aussage gelangen kann.
Wenn du eine umfangreiche Äquivalenzaussage beweisen möchtest, solltest du immer Ausschau nach Implikationen halten, die „geschenkt“ sind, d.h. deren Beweis besonders naheliegend und einfach ist (in \cref{bsp:ringschluss} war das die Implikation (ii)$\to$(iii)). Daran kannst du dann deine Beweisstrategie orientieren. Ein \href{https://mampf.mathi.uni-heidelberg.de/media/105/play?time=2609}{Äquivalenzbeweis aus meiner LA1-Vorlesung vom Wintersemester 2016/17} verlief so speziell, dass unser Dozent Denis Vogel zu Beginn seines Beweises einen „Plan“ aufschrieb, um seinen Hörern die Orientierung zu erleichtern.
\begin{figure}[ht]
\includegraphics[width=10cm]{./_img/equivbeweis.jpeg}
\centering \caption{Eine Äquivalenzaussage aus der LA1 vom WS16/17. Hier sind die Implikationen (ii)$\to$(iii) und (ii)$\to$(iv) „geschenkt“.}
\end{figure}
\end{bem}
\begin{bem}[Guter Stil]
Wenn du eine Aussage der Gestalt „Folgende Aussagen sind äquivalent: \dots“ beweist, solltest du den Beweis jeder einzelnen Implikation mit „(i)$\to$(ii)“, „(iii)$\to$(i)“ oder Ähnlichem betiteln, damit deinem Leser jederzeit klar ist, welche Implikation gerade Thema ist.
\end{bem}
\section{Und und Oder}
In diesem Abschnitt seien $A,B$ stets zwei beliebige Aussagen.
\begin{axiom}[*]\label{undoderaxiome}
Für je zwei Aussagen $A,B$ gelten:
\begin{align*}
(A\land B) & \to A & A & \to (A\lor B) \\
(A\land B) & \to B & B & \to (A\lor B)
\end{align*}
Mit anderen Worten: Aus $A\land B$ folgen sowohl $A$ als auch $B$; und $A$ und $B$ sind wiederum hinreichende Bedingungen für $A\lor B$.
\end{axiom}
\begin{bem}[*]
Wenn dir die Aussage $A\land B$ gegeben ist, kannst du das also so behandeln, als seien dir zwei Aussagen gegeben, nämlich $A$ und $B$.
Und wenn du $A\lor B$ beweisen möchtest, würde es schon reichen, wenn du $A$ beweist oder wenn du $B$ beweist.
\end{bem}
\begin{axiom}[Und-Aussagen beweisen] \label{undbeweise}
Um die Aussage $A\land B$ zu beweisen, genügt es, sowohl $A$ als auch $B$ zu beweisen:
\[\begin{tabular}{r}
$A$ \\
$B$ \\
\hline
$A\land B$
\end{tabular} \]
\end{axiom}
\begin{bsp}[*]
Die $25$ ist eine Quadratzahl, die sich als Summe zweier echt kleinerer Quadratzahlen schreiben lässt. Außerdem ist sie die kleinste Quadratzahl mit dieser Eigenschaft.
\end{bsp}
\begin{proof}
(1) Aus
\[ 25=5^2 \qquad\text{und}\qquad 25 = 9 + 16 = 3^2 + 4^2 \]
folgt, dass $25$ eine Quadratzahl ist, die sich als Summe zweier echt kleinerer Quadratzahlen schreiben lässt.
(2) Die einzigen Quadratzahlen $\neq 0$, die noch kleiner als $25$ sind, sind
\[ 1\qquad 4\qquad 9\qquad 16 \]
Wäre eine dieser vier Zahlen eine Summe zweier echt kleinerer Quadratzahlen, so müssten auch diese beiden Summanden in der Liste dieser vier Zahlen vorkommen. Aber alle möglichen Kombinationen
\begin{align*}
1+1 & = 2 & 1+4 & = 5 \\
1+ 9 & = 10 & 1+16 & = 17 \\
4 + 4 & = 8 & 4+9 & = 13 \\
4+16 & = 20 & 9+9 & = 18
\end{align*}
ergeben keine Quadratzahl.
\end{proof}
\begin{bem}[*]
Drei natürliche Zahlen $a,b,c$, für die $a^2+b^2=c^2$ gilt, heißen ein \textbf{pythagoräisches Tripel}. Also wurde soeben bewiesen, dass $(2,3,5)$ das kleinste pythagoräische Tripel ist. Dagegen besitzt nach dem berühmten \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Gro\%C3\%9Fer_Fermatscher_Satz}{Großen Satz von Fermat}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_de_Fermat}{Pierre de Fermat (1607-1665)}} die Gleichung $a^n+b^n=c^n$ für $n\in \N_{\ge 3}$ keine positive ganzzahlige Lösung.
\end{bem}
\begin{axiom}[Beweis mit Fallunterscheidung] \label{fallunterscheidung} \index{Fallunterscheidung (in einem Beweis)}
Sei $X$ eine Aussage, die du beweisen möchtest. Außerdem sei gegeben, dass $A\lor B$ gilt\footnote{Im Englischen sagt man: ``the two cases $A$ and $B$ are \emph{exhausting}''.}. Dann kannst du $X$ mit einer \textbf{Fallunterscheidung} beweisen, indem du sowohl zeigst, dass $A\to X$ gilt, als auch, dass $B\to X$ gilt.
\end{axiom}
\begin{bsp} \label{bsp:fallunterscheidung}
Für alle $n\in \N$ ist $n\cdot (n+1)$ eine gerade Zahl.
\end{bsp}
\begin{proof}
Ich unterscheide zwei Fälle:
\begin{enumerate}[1)]
\item Der Fall, dass $n$ eine gerade Zahl ist. In diesem Fall ist $n\cdot (n+1)$ als Vielfaches der geraden Zahl $n$ ebenfalls eine gerade Zahl.
\item Der Fall, dass $n$ eine ungerade Zahl ist. In diesem Fall ist $n+1$ eine gerade Zahl, sodass $n\cdot (n+1)$ als Vielfaches der Zahl $n+1$ ebenfalls eine gerade Zahl ist.
\end{enumerate}
Also ist $n\cdot(n+1)$ in jedem Fall gerade.
\end{proof}
\section{Quantoren}
In diesem Abschnitt sei $E(x)$ stets ein einstelliges Prädikat.
\begin{axiom}[*] \label{quantorenaxiom}
Für jedes Objekt $a$ vom Typ der Variablen $x$ gelten die folgenden beiden Implikationen:
\begin{align*}
\forall x: E(x) \quad& \to\quad E(a) \\
E(a) \quad & \to\quad \exists x: E(x)
\end{align*}
\end{axiom}
\begin{bsp}[*] \quad
\begin{enumerate}
\item Weil in $\R$ jede positive Zahl eine Qudaratwurzel besitzt, existiert in $\R$ insbesondere auch eine Quadratwurzel der Drei.
\item Es existieren $p,q,m,n\in \N_{\ge 1}$ mit $m^p-n^q=1$, denn es ist $3^2-2^3=1$. (Nach dem \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Catalansche_Vermutung}{Satz von Catalan-Mihăilescu}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Eug\%C3\%A8ne_Charles_Catalan}{Eugène Charles Catalan (1814-1894)}}\footnote{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Preda_Mih\%C4\%83ilescu}{Preda Mihăilescu (*1955)}} gibt es aber keine weiteren Möglichkeiten)
\end{enumerate}
\end{bsp}
\begin{satz}[Beweis per Beispiel] \label{beweisperbsp} \index{Beispiel (in einem Beweis)}
Du kannst die Existenzaussage $\exists x: E(x)$ dadurch beweisen, dass du ein konkretes Objekt $a$ findest, das die Eigenschaft $E$ besitzt. Man nennt dann $a$ ein \textbf{Beispiel} für die Existenzaussage $\exists x: E(x)$.
\end{satz}
\begin{proof}
Ergibt sich direkt aus der Formel $E(a)\to\exists x:E(x)$.
\end{proof}
\begin{bsp}
Es gibt eine Zahl $n\in \N_{\ge 1}$, die gleich der Summe ihrer echten Teiler ist.\footnote{Zahlen, die gleich der Summe ihrer echten Teiler sind, heißen \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Vollkommene_Zahl}{vollkommene Zahlen}.}
\end{bsp}
\begin{proof}
Ein Beispiel ist die Zahl $28$. Denn die echten Teiler der $28$ sind genau
\[ 1 \qquad 2 \qquad 4 \qquad 7 \qquad 14 \]
und es ist $1+2+4+7+14=28$.
\end{proof}
\begin{bem}
Lässt sich eine Existenzaussage mit einem Beispiel beweisen, so ist es eigentlich schlechter Stil, in einem Buch oder einem Vortrag nur die Existenzaussage anzugeben. Beispielsweise ist ja die Information „Die $28$ ist gleich der Summe ihrer echten Teiler“ umfangreicher als die Information „Es gibt eine natürliche Zahl, die gleich der Summe ihrer echten Teiler ist“. Du solltest dir nicht einfach nur die Existenzaussage merken, sondern, sofern es welche gibt, auch ein paar Beispiele und deren Konstruktion im Hinterkopf behalten. Auch die mathematische Essenz des Satzes von Euklid \cref{euklid} besteht weniger in der Aussage „Es gibt eine Primzahl, die größer als $n$ ist“ als vielmehr in der trickreichen Art und Weise, wie eine solche Primzahl aufgespürt wird.
Es gibt allerdings Situationen, in denen eine Existenzaussage beweisbar ist, obwohl es unmöglich ist, konkrete Beispiele anzugeben. Falls in einer Vorlesung keine Beispiele gegeben werden (was bedauerlicherweise recht häufig vorkommt und dem Zeitdruck im Vorlesungsbetrieb zuschulden kommt), solltest du beim Prof. nachhaken, ob er/sie vielleicht deshalb keine Beispiele bringt, weil es gar keine gibt oder die wenigen bekannten Beispiele zu kompliziert und zeitaufwendig sind. Gute Bücher und Vorlesungen erkennt man daran, dass sie, wenn sie keine Beispiele geben, auch erklären, warum.
\end{bem}
\begin{axiom}[Allaussagen an einem „beliebigen“ Objekt nachweisen]\label{allbeweis} \index{beliebig}
Um die Allaussage $\forall x: E(x)$ zu beweisen, kannst du folgendermaßen vorgehen:
Führe eine Variable $a$, die bislang noch nicht im Beweis verwendet wurde und ein \emph{beliebiges} Objekt vom Typ der Variablen $x$ bezeichnen soll, ein und beweise nun, dass $a$ die Eigenschaft $E$ besitzt.
\end{axiom}
\begin{bsp} \label{bsp:allbeweis}
Für jede reelle Zahl $y\neq 1$ existiert eine reelle Zahl $x\neq 2$ mit $y=\frac{x+1}{x-2}$.
\end{bsp}
\begin{proof}
Sei $y\in \R$ mit $y\neq 1$. Dann ist durch $x:= \frac{1+2y}{y-1}$ eine wohldefinierte reelle Zahl gegeben. Nun rechnet man nach, dass $x\neq 2$ und $\frac{x+1}{x-2}=y$.
\end{proof}
\begin{bem}[Signalwörter]
Ein Beweis einer Allaussage beginnt meist mit Floskeln wie „Sei $x$ ein beliebiges\dots“ oder „Die Zahl $n$ sei beliebig aber fest“. Viele Texte lassen das Signalwort „beliebig“ auch weg und beginnen schlicht mit sowas wie „Sei $x\in \R$. Dann \dots“. So auch der Beweis gerade eben. Sie setzen vom Leser voraus, dass er erkennt, dass hier gerade der Beweis einer Allaussage beginnt.
\end{bem}
\begin{bsp}[* Satz von Euklid\protect\footnotemark] \label{euklid}
\footnotetext{\href{https://de.wikipedia.org/wiki/Euklid}{Euklid (ca. 3. Jhd. v. Chr.)}}
Für alle $n\in \N$ gibt es eine Primzahl $P$, die größer als $n$ ist.
\end{bsp}
\begin{bem}
Die logische Struktur dieses Satzes ist
\[ \forall\ (\text{natürliche Zahl $n$})\ \exists\ (\text{Primzahl $P$}):\ P>n \]
Da es sich insgesamt um eine Allaussage handelt, sollte der Beweis mit „Sei $n$ eine (beliebige) natürliche Zahl“ beginnen. Da daraufhin die Existenzaussage
\[ \exists P\in \N:\ \text{$P$ ist eine Primzahl und größer als $n$} \]
übrig bleibt, fährt der Beweis sodann mit der geschickten Konstruktion eines Beispiels fort:
\end{bem}
\begin{proof}
Sei $n\in \N$. Da es nur endlich viele natürliche Zahlen gibt, die $\le n$ sind, gibt es auch nur endlich viele Primzahlen, die $\le n$ sind. Seien $k$ deren Anzahl und $p_1,\dots , p_k$ diese Primzahlen. Betrachte die Zahl\footnote{Im Fall $k=0$ ist $N=2$, weil dann ein „leeres Produkt“ involviert ist. Siehe \cref{mehrfachprodukt}.}
\[ N := p_1\cdot\ldots\cdot p_k + 1 \]
Dann lässt $N$ bei der Division durch $p_1,\dots , p_k$ jedes Mal den Rest Eins übrig, ist also nicht durch $p_1,\dots , p_k$ teilbar. Wegen $N\ge 2$ muss $N$ gemäß dem Fundamentalsatz der Arithmetik aber mindestens einen Primteiler $P$ besitzen. Da $P$ keines der $p_1,\dots ,p_k$ sein kann, aber die $p_1,\dots , p_k$ alle Primzahlen sind, die $\le n$ sind, muss $P$ größer als $n$ sein.
\end{proof}
\begin{bem}[*]
Manche behalten den Beweis des Satzes von Euklid fehlerhaft im Gedächtnis mit der Meinung, für $k\in \N$ und die ersten $k$ Primzahlen $p_1,\dots , p_k$ müsse die Zahl $p_1\cdot\ldots\cdot p_k + 1$ zwangsläufig ebenfalls eine Primzahl sein. Dies ist jedoch falsch. Beispielsweise ist $2\cdot 3\cdot 5\cdot 7\cdot 11\cdot 13+1=59\cdot 509$ keine Primzahl. Ein weiterer verbreiteter Irrtum ist die Meinung, es würde sich um einen Widerspruchsbeweis handeln.
\end{bem}
\begin{bem}[*]
Achte darauf, dass die zum Beweis einer Allaussage von dir eingeführte Variable, die das „beliebige“ Objekt bezeichnen soll, auch wirklich nirgendwo sonst im bisherigen Beweis aufgetaucht ist, also auch wirklich „beliebig“ ist. Ansonsten könnte dir ein Fehler wie der folgende passieren:
\begin{bsp}[*]
Es gibt eine natürliche Zahl $n$, die größergleich jede andere natürliche Zahl ist.
\end{bsp}
\begin{proof}\let\qed\relax
Setze $n=0$. Es bleibt zu zeigen, dass jede natürliche Zahl kleinergleich $n$ ist. Dazu sei $n$ eine beliebige natürliche Zahl. Weil bekanntlich stets $n\le n$ gilt, ist also jede beliebige Zahl kleinergleich $n$.
\end{proof}
\end{bem}
\begin{axiom}[* Verwenden von Existenzaussagen] \label{exverwendung}
Sofern dir in einem Beweis eine Aussage der Gestalt $\exists x: E(x)$ gegeben ist, kannst du eine Variable $a$, die bisher noch nirgends im Beweis aufgetaucht ist, einführen, und die Aussage $E(a)$ als gegeben annehmen.
\end{axiom}
\begin{bsp}[*] \label{bsp:exverwendung}
Die Gleichung $x^5=x+1$ besitzt eine reelle Lösung.\footnote{vgl. \cref{zeichendefinieren}}
\end{bsp}
\begin{proof}
Betrachte die reelle Funktion
\[ f(x) = x^5-x-1 \]
Dann gilt $f(1)=-1$ und $f(2)=29$. Nach dem Zwischenwertsatz der Analysis muss dann $f$ irgendwo zwischen $1$ und $2$ eine Nullstelle haben. Sei $\xi$ eine solche Nullstelle (hier wird \cref{exverwendung} genutzt). Dann gilt $\xi^5-\xi-1=0$, also $\xi^5=\xi +1$.
\end{proof}
\begin{satz}[* Vertauschbarkeit von Quantoren derselben Sorte] \label{quantorentausch}
Sei $R$ ein zweistelliges Prädikat. Dann gilt:
\begin{align*}
\forall x\ \forall y: R(x,y) \quad &\leftrightarrow\quad \forall y\ \forall x: R(x,y) \\
\exists x\ \exists y: R(x,y) \quad &\leftrightarrow\quad \exists y\ \exists x: R(x,y)
\end{align*}
\end{satz}
\begin{proof}
Ich beweise jeweils nur die Hinrichtung „$\to$“. Die Rückrichtung wird, unter Vertauschung der Rollen von $x$ und $y$, analog bewiesen.
\begin{labeling}
\item[„$\forall$“:] Seien $a,b$ zwei beliebige Objekte und es gelte $\forall x\ \forall y: R(x,y)$. Mit \cref{quantorenaxiom} folgt durch Einsetzen von $a$, dass $\forall y: R(a,y)$, und durch Einsetzen von $b$, dass $R(a,b)$. Da $a$ beliebig gewählt war, gilt somit sogar $\forall x: R(x,b)$. Und da auch $b$ beliebig gewählt war, folgt hieraus, dass $\forall y\ \forall x: R(x,y)$.
\item[„$\exists$“:] Es sei angenommen, dass $\exists x\ \exists y: R(x,y)$ gilt. Dann gibt es ein Objekt $a$, für das $\exists y: R(a,y)$ gilt (hier wird \cref{exverwendung} genutzt). Somit gibt es auch ein Objekt $b$, für das $R(a,b)$ gilt. Wegen $R(a,b)$ gilt insbesondere $\exists x: R(x,b)$ und daraus folgt wiederum $\exists y\ \exists x: R(x,y)$. \qedhere
\end{labeling}
\end{proof}
\begin{satz}[* Quantoren verschiedener Art sind nicht miteinander vertauschbar!]
Sei $R$ ein zweistelliges Prädikat. Dann gilt zwar
\[ \exists x\ \forall y: R(x,y) \quad\to\quad \forall y\ \exists x: R(x,y) \]
die umgekehrte Implikation „$\leftarrow$“ ist im Allgemeinen aber falsch, vgl. \cref{quantorreihenfolge}.
\end{satz}
\begin{proof}
Sei $b$ ein beliebiges Objekt und es gelte $\exists x\ \forall y: R(x,y)$. Dann gibt es ein Objekt $a$, für das $\forall y: R(a,y)$ gilt. Also gilt insbesondere $R(a,b)$. Daraus folgt $\exists x: R(x,b)$ und da das Objekt $b$ beliebig gewählt war, impliziert dies $\forall y\ \exists x: R(x,y)$.
\end{proof}
\subsection*{Eindeutigkeitsbeweise}
In \cref{eindquantzerlegung} wurde thematisiert, wie sich der Eindeutigkeitsquantor $\exists !$ aus dem Allquantor und dem Existenzquantor zusammensetzt:
\[ \underbrace{\exists x:\ E(x)}_{\text{Es gibt mindestens ein\dots}}\quad \land\quad \underbrace{\forall y,z:\ (E(y)\land E(z)) \to y=z}_{\text{Es gibt höchstens ein\dots}}\]
Diese Und-Aussage kann gemäß \cref{undbeweise} als zwei separate Aussagen behandelt werden:
\begin{axiom}[Existenz- und Eindeutigkeitsbeweis] \label{eindbeweis} \index{Eindeutigkeitsbeweis}
Wenn du eine Aussage der Form $\exists ! x: E(x)$ beweisen möchtest, kannst du deinen Beweis in einen Existenz-Teil und einen Eindeutigkeit-Teil aufteilen:
\begin{itemize}
\item Im Existenz-Teil beweist du, dass es mindestens ein Objekt gibt, das die Eigenschaft $E$ besitzt (z.B. durch Angabe eines Beispiels).
\item Im Eindeutigkeit-Teil beweist du, dass je zwei Objekte, die die Eigenschaft $E$ besitzen, identisch sind.
\end{itemize}
Dabei spielt es keine Rolle, ob du erst den Existenz- und dann den Eindeutigkeit-Teil aufschreibst oder umgekehrt.
\end{axiom}
\begin{bsp} \label{bsp:eindbeweis}
Es gibt genau ein $a\in \R$ mit $ax=a$ für alle $x\in \R$.
\end{bsp}
\begin{proof}
Eindeutigkeit): Seien $a,b\in \R$ mit $ax=a$ und $bx=b$ für alle $x\in \R$. Dann ist
\begin{align*}
a & = a\cdot b & (\text{wegen der besonderen Eigenschaft von $a$}) \\
& = b \cdot a \\
& = b & (\text{wegen der besonderen Eigenschaft von $b$})
\end{align*}
(Existenz): Für alle $x\in \R$ ist $0x=0$, sodass die Zahl $0$ die gewünschte Eigenschaft besitzt.
\end{proof}
\begin{bem}[Guter Stil]
Du solltest den Existenz-Teil und den Eindeutigkeit-Teil deines Beweises immer auch als solchen betiteln, so wie es gerade im Beispiel geschah.
\end{bem}
\begin{bem}[Wechselspiel zwischen Formeln und Umgangssprache]
Studienanfänger neigen dazu, in ihren Beweisen möglichst alle Sachverhalte in Formelsprache auszudrücken und logische Schritte möglichst rechnerisch, als symbolische Manipulation gewisser Formelterme, durchzuführen. Versuche stattdessen, in deinen Beweisen ein Gleichgewicht aus Formeln und Alltagssprache herzustellen. Wo ein kurzer deutscher Satz dasselbe sagt wie eine Formel, ziehe in Erwägung, den deutschen Satz hinzuschreiben. Gedruckte Beweise (wie in diesem Skript) enthalten oft mehr Fließtext als handschriftliche Beweise (wie sie dein Prof. an die Tafel schreibt).
\end{bem}
\begin{comment}
\section{Induktionsbeweise}
Im Sonderfall, dass sich Allaussagen auf natürliche Zahlen beziehen, stehen Beweistechniken zur Verfügung, die zur Gattung der „Induktionsbeweise“ gehören.
\begin{bem}[Erklärung des Induktionsbeweises]
Die natürlichen Zahlen lassen sich „abzählen“. Das heißt, wenn ich mit der Null starte und dann anfange zu zählen „Null, Eins, Zwei, Drei,\dots“, so werde ich zwar nie fertig, da es ja unendlich viele Zahlen gibt -- ich werde aber jede beliebige Zahl nach hinreichend langer Zeit abgezählt haben. Mit anderen Worten: Der Zählprozess schöpft die Gesamtheit aller natürlichen Zahlen vollständig aus. Oder: Die Gesamtheit aller natürlichen Zahlen kann durch den Zählprozess „vollständig abgetragen“ werden.
Zählen heißt, mit der Null zu starten und nach jeder genannten Zahl mit der kleinsten noch nicht genannten Zahl fortzufahren. Die natürlichen Zahlen lassen sich also restlos durch die beiden Operationen
\begin{itemize}
\item Mit der Null beginnen.
\item Sofern man schon ein paar Zahlen abgezählt hat, mit der kleinsten Zahl fortfahren, die noch nicht drankam.
\end{itemize}
„abtragen“. Diese Eigenschaft der natürlichen Zahlen liegt dem Prinzip des Induktionsbeweises zugrunde.
\end{bem}
\begin{axiom}[Induktionsbeweis]
Möchtest du beweisen, dass jede natürliche Zahl die Eigenschaft $E$ besitzt, so kannst du dies folgendermaßen erledigen:
\begin{itemize}
\item Im sogenannten \textbf{Induktionsanfang} beweist du, dass $E(0)$ gilt. (Je nach Kontext kann der Induktionsanfang auch bei $n=1$ oder sogar noch höher stattfinden)
\item Im sogenannten \textbf{Induktionsschritt} fixierst du eine beliebige natürliche Zahl $n\ge 1$ und nimmst an, dass jede Zahl, die kleiner als $n$ ist, die Eigenschaft $E$ besitzt (diese Annahme heißt \textbf{Induktionsannahme} oder auch \textbf{Induktionsvoraussetzung}). Mithilfe dieser Annahme beweist du nun, dass auch $n$ die Eigenschaft $E$ besitzt.
%\[ \forall n \ge 1:\ (\forall k\le n: E(k)) \to E(n) \]
\end{itemize}
\end{axiom}
\begin{bsp}[Division mit Rest]
Seien $a,b$ zwei natürliche Zahlen und $b\neq 0$. Dann gibt es eindeutig bestimmte natürliche Zahlen $q,r$, für die gilt
\[ a=qb+r \qquad\text{und}\qquad r< b \]
\end{bsp}
\begin{proof}
(Existenz): Im Fall $a<b$ kann man einfach $q=0$ und $r=a$ setzen. Deshalb sei ab sofort angenommen, dass $a\ge b$ gilt. Der Beweis geschieht nun per Induktion über $a$.
(Induktionsanfang): Im Fall $a=0$ folgt aus $b\neq 0$, dass $a<b$, sodass man einfach $q=0$ und $r=a$ wählen kann.
(Induktionsschritt): Wegen $a\ge b$ ist auch $a-b$ eine natürliche Zahl. Wegen $a-b< a$ gibt es nach Induktionsvoraussetzung eine natürliche Zahl $p$ und eine Zahl $r<b$, für die
\[ a-b = pb + r \]
gilt. Setzt man $q:=p+1$, so folgt
\[ a = (p+1)b + r = qb+r\]
(Eindeutigkeit): Seien $q,q,r,r'$ natürliche Zahlen mit $r,r'<b$ und $a=qb+r=q'b+r'$. OBdA sei $r\le r'$. Man erhält $r'-r=(q-q')b$, d.h. die Differenz $r'-r$ ist ein Vielfaches von $b$. Wegen $0\le r'-r<b$ ist dies nur dann möglich, wenn $r'-r=0$, also $r'=r$. Damit ist auch $q=\frac{a-r}{b} = \frac{a-r'}{b} = q'$.
\end{proof}
\begin{bem}[Guter Stil]
An diesem Beweis werden eine Reihe wichtiger Punkte deutlich.
\begin{itemize}
\item Wenn im Beweis mehrere Variablen vom Typ „natürliche Zahl“ auftreten, musst du deutlich machen, über welche Variable dein Induktionsbeweis verläuft.
\item Induktionsanfang und Induktionsschritt musst du klar und deutlich kennzeichnen. Deinem Leser muss zu jedem Zeitpunkt klar sein, ob er sich gerade im Induktionsschritt befindet.
\item Wenn du im Induktionsschritt von der Induktionsannahme Gebrauch musst, musst du das deutlich hervorheben. Diese Stelle ist meist das Herzstück des ganzen Beweises!
\end{itemize}
\end{bem}
\begin{bem}
Es gibt einen Haufen Varianten dieser Induktionstechnik. Oftmals wird gar nicht benötigt, dass \emph{alle} kleineren Zahlen als $n$ die Eigenschaft $E$ besitzen und man kann beweisen, dass $E(n)$ allein schon aus $E(n-1)$ folgt. Manchmal führt man den Induktionsanfang auch für $n=1$ oder $n=2$ durch, sofern man etwa sowieso nur beweisen möchte, dass die Eigenschaft für alle Zahlen $\ge 1$ oder $\ge 2$ gilt.
Die allgemeine Technik des Induktionsbeweises beschränkt sich nicht nur auf natürliche Zahlen, sondern auf alle möglichen Objekte, die in gewisser Weise „induktiv“ definiert sind. Beispielsweise besagt das \emph{Fundierungsaxiom} der Mengenlehre, dass auch Aussagen über alle Mengen mit einer Induktionstechnik bewiesen werden können. Mehr darüber kannst du in Büchern und Vorlesungen über mathematische Logik und Mengenlehre lernen.
\end{bem}
\end{comment}
\section{Widerlegen}
Alle bisher besprochenen Beweistechniken zielten darauf ab, die „Wahrheit“ von Aussagen zu etablieren. Nun soll es darum gehen, wie man von einer Aussage nachweisen kann, dass sie „falsch“ ist.
In diesem Abschnitt seien $A,B$ stets zwei Aussagen.
\begin{defin}[Widerlegung] \index{Widerlegung}
Eine \textbf{Widerlegung} der Aussage $A$ ist ein Beweis ihrer Negation $\neg A$.
Anstelle von „Es gilt $\neg A$“ schreiben wir auch „$A$ ist falsch“\footnote{Mit dem Wahrheitswert „f“ aus \cref{def:interpretation} hat dies erstmal nichts zu tun, vgl. \cref{beweisbarvswahr}}.
\end{defin}
\subsection*{Indirekt Argumentieren}
\begin{axiom}[Indirekte Widerlegung] \label{reductio}
Die Schlussregel \emph{Modus tollens} besagt:
\[\begin{tabular}{r}
$A\to B$ \\
$\neg B$ \\ \hline
$\neg A$
\end{tabular} \]
Mit anderen Worten: Wenn aus $A$ etwas Falsches folgt, muss $A$ selbst falsch sein.
Du kannst die Aussage $A$ also dadurch widerlegen, dass du eine falsche Aussage $B$ findest, die aus $A$ folgen würde. Man nennt diese Technik eine \textbf{indirekte Widerlegung} oder auch \textbf{Reductio ad absurdum} (latein für „Rückführung auf das Widersinnige“).
\end{axiom}
\begin{bsp} \label{bsp:reductio}
$198$ ist nicht durch $17$ teilbar.
\end{bsp}
\begin{proof}
Es ist $187=11\cdot 17$. Wäre $198$ durch $17$ teilbar, so auch die Differenz $198-187 = 11$. Aber $11$ ist kein Vielfaches von $17$.
\end{proof}
\begin{satz}[Widerlegung einer Allaussage per Gegenbeispiel] \label{gegenbeispiel} \index{Gegenbeispiel}
Wenn du eine Aussage der Gestalt $\forall x: E(x)$ widerlegen möchtest, genügt es, irgendein Objekt $a$ zu finden, für das du $\neg E(a)$ beweisen kannst. Man nennt dann das Objekt $a$ ein \textbf{Gegenbeispiel} zur Allaussage $\forall x: E(x)$.
\end{satz}
\begin{proof}
Angenommen, es wurde $\neg E(a)$ bewiesen. Wegen $(\forall x: E(x)) \to E(a)$ würde dann aus $\forall x:E(x)$ eine falsche Aussage folgen, sodass $\forall x:E(x)$ selbst schon falsch sein muss.
\end{proof}
\begin{bsp}
Nicht jeder Mensch findet im Leben die große Liebe.
\end{bsp}
\begin{proof}
Schauen wir uns \href{https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Schubert}{Franz Schubert (1797-1828)} an. Mit Mitte Zwanzig an der Syphilis erkrankt, mit 31 Jahren gestorben, war es dem Armen nicht leicht gemacht, einen Herzenspartner zu finden. Mehr als kurzzeitige Liebschaften, die er nicht frei ausleben konnte, waren dem Wiener Komponisten zu Lebzeiten nicht vergönnt. Ich meine, hör dir seine \href{https://youtu.be/F6I6Y1LhMKo?t=1665}{Winterreise} nur mal an! --
\end{proof}
\begin{bem}
In manchen Situationen mag man geneigt sein, eine Allaussage, statt mit einem Gegenbeispiel, mit der entgegengesetzten Allaussage zu widerlegen. Beispielsweise würde man die Aussage „Für alle $x\in \R$ ist $x^2<0$“ widerlegen wollen mit der Feststellung, dass ja, ganz im Gegenteil, $x^2\ge 0$ ist für alle $x\in \R$. In der Praxis ist diese Argumentationsweise schon ok, weil ja klar ist, dass sich dann jede reelle Zahl, sagen wir $x=1$, als Gegenbeispiel anbietet, und die Argumentation die zusätzliche Information übermittelt, dass solche Gegenbeispiele sogar ganz beliebig wählbar und nichts Besonderes sind.
Streng logisch ist diese Argumentationsweise jedoch unzulässig, da Allaussagen keine Existenzaussagen implizieren. Betrachten wir dazu die Aussage $A:\Leftrightarrow$ „Alle Vampire sind Veganer“. Man wäre vielleicht geneigt, diese Aussage zu widerlegen mit der Feststellung, dass ja, ganz im Gegenteil, alle Vampire Blut trinken, also keine Veganer sind. $A$ wäre also falsch. Allerdings würde nun mit der Regel aus \cref{quantorennegieren} folgen, dass es mindestens einen Vampir geben muss, der kein Veganer ist. Aber dies kann ja auch nicht stimmen, weil es keine Vampire gibt.
Siehe hierzu auch \cref{vacuoustruth}.
\end{bem}
\begin{satz}[* Implikationen widerlegen]
Du kannst die Implikation $A\to B$ dadurch widerlegen, dass du beweist, dass $A$ und $\neg B$ gelten.